Filmvorführung
und Ausstellung einzelner Objekte aus dem Alfons Schilling Archiv
Im Anschluss an die Filmvorführung Gespräch mit Anna Artaker
Das Freie Kino Extended widmet diesen Abend dem Künstler Alfons Schilling, der in diesem Jahr 90 Jahre alt geworden wäre.
Im Zentrum eines installativen Settings mit Fotos, Plakaten, Statements des Künstlers, der Sehmaschine Raumumkehrer/Gazelle und mehreren Stereoslides, die mittels Stereobetrachtern angeschaut werden können, stehen selten gezeigte Filme, darunter der Kurzspielfilm 9XL-Es war einmal von 1965 und der Dokumentarfilm über Alfons Schilling von seinem Bruder Niklaus Schilling Unter 4 Augen aus dem Jahr 1986.
Wir laden Sie ein zu einem außergewöhnlichen Abend zu Ehren Alfons Schillings mit selten gezeigten Filmen, Fotos und Originaldokumenten, die freundlicherweise vom Alfons Schilling Archiv zur Verfügung gestellt wurden.
„You see what you allow yourself to see”
Alfons Schilling
PROGRAMM
Unter 4 Augen | R: Niklaus Schilling | D 1986/1987 | 44 min | Dokumentarfilm
Im Sommer 1986 trafen sie sich in New York. Sie wollten zusammen einen Film machen. Sie sind Brüder. Beide beschäftigen sich mit der Wahrnehmung von Bildern. Der eine will Geschichten erzählen, der andere stellt sie in Frage. Der eine zeigt eine neue filmische Realität - der andere zweifelt schon am Auge als Apparat, welches diese Realitäten wahrnehmen soll. Alfons Schilling ist ein Maler, der sich vor 24 Jahren aufgemacht hat nach New York. Damals bot die neue Welt nicht nur eine neue Perspektive, sondern unzählige. Sie war für nicht wenige der Gegenpol zu einem Europa, das mehr und mehr zum Museum zu werden schien. Die Kunst benötigte für Alfons Schilling dringend einen neuen Bezug, und der konnte nur die direkte Verbindung zu den Wissenschaften sein. In den USA forschte man nach deren Zukunft. Dort in den Labors fühlte er sich seiner Sache ganz nah. Und so wurde sein Atelier bald zur Werkstatt und zum Labor. Cosmos Action Painting heißt Niklaus Schillings zweiter 8mm-Film aus dem Jahre 1962. Er zeigt seinen Bruder Alfons in Paris bei den ersten Versuchen, die Begrenzung der Leinwand zu sprengen. Bereits diese rotierenden Bilder signalisieren, dass die herkömmlichen Betrachtungsmaßstäbe grundsätzlich in Frage gestellt werden müssen. So steht knapp 20 Jahre später tatsächlich die Beschäftigung mit dem es gar ersetzen wollen. Es sind teilweise gewaltige Maschinen - Objekte und Plastiken, die den Betrachter dazu zwingen, das Sehen von Grund auf neu zu koordinieren. Oben ist nicht mehr oben - oben ist unten und hinten ist möglicherweise vorn. Eine Höhle wird zum transparenten Stein. Vorsichtig, den Fuß vor den anderen setzend, schwebt man am Himmel oder unter Wasser. Die vertraute Materie, der Raum verzerrt sich, dehnt und biegt sich, seine Dimensionen verschieben sich ins fast Unerträgliche... Müssen wir erst blind werden, um in der ständig anwachsenden alltäglichen Bilderflut wieder sehen zu können? Der Filmemacher Niklaus Schilling beobachtet seinen Bruder Alfons mit der Kamera. In New York, aber vor allem in den "Canyonlands" in Utah, führt er mit ihm ein "optisches Gespräch". Der Film ist auch das Ende eines langen Kapitels: 24 Jahre Leben und Arbeiten in New York. Alfons Schilling hat danach die USA verlassen, ist nach Europa zurückgekehrt. (Niklaus Schilling)
Woody and me | R: Alfons Schilling | USA | 1970 | 9 min (Ausschnitt 4 min)
Ein kurzer ca. vierminütiger Ausschnitt aus einer privaten Aufnahme, die Alfons Schilling mit seinem Künstlerfreund Woody Vašulka zeigt. Alfons Schilling kritisiert darin die damalige Kunstszene, insbesondere den Kunstmarkt, der Kunst nur zum Verkauf benutze, sich aber nicht für die Produktion von Kunst interessiere.
Catch-up Race | R: Alfons Schilling | USA 1970 | 2:50 min | ohne Ton
Ursprünglich auf 16mm durch eine Kaleidoskoplinse gedreht, dokumentiert der Film in mehreren sich überlagernden Bildern das Entleeren zweier Ketchupflaschen unterschiedlicher Marken. Dabei wechseln die haltenden Hände mit Handschuhen und die Körper der Protagonistinnen immer wieder sichtbar ihre Positionen.
Jackie Curtis | R: Alfons Schilling | USA 1970 | 1:10 min | ohne Ton
Jackie Curtis, Transgender-Künstlerin, Schauspielerin, Sängerin und Autorin, die unter anderem zu Andy Warhols „Superstars“-Szene gehörte, ist dieser kurze 16mm-Film in Schwarzweiß gewidmet.
BB nude with machine | R: Alfons Schilling | USA 1970 | 1:56 min
Ein weiblicher Akt bewegt sich durch eine Wohnung, gedreht in 16mm-Farbfilm. Die Kamera folgt den Bewegungen der Protagonistin Brigitte, verliert sie hinter einem Turm aus zwei Fernsehgeräten, scheint sie zu suchen oder zu erwarten. Alfons Schilling sitzt scheinbar unbeteiligt im Hintergrund. Man fragt sich, wer die Kamera führt. Der Film endet mit Stop-Motion-Aufnahmen der Straßenszenen bei Tag und bei Nacht in der 14th Street.
9 XL – ES WAR EINMAL … born for another world | R: Alfons Schilling | CH 1965 | 14 min
Der Film erzählt „die fantastische Geschichte eines fast nicht mehr jungen Mannes, der der Meinung ist, seine Geliebte entgleite ihm – was deshalb dann auch geschieht -, und der, nachdem er alles versucht hat, sie zurückzugewinnen, sie schließlich brutal auf einen anderen Planeten entführt.“ (Alfons Schilling)
„Dieser 13-minütiger Film ist vordergründig eine dystopische Liebesgeschichte. Diese stellt jedoch nur die Folie für seine Beschäftigung mit Fragestellungen nach der Utopie von Kommunikation, Bewältigung persönlicher Krise, selbsterfüllender Prophezeiung, Wahrnehmungsverschiebung und emotionaler Flucht dar. Er bettet die Handlung in eine futuristische Szenerie ein, die es ihm erlaubt, surreale und poetische Elemente als erzählerische Inkongruenzen einfließen zu lassen.“
(Roland Fischer-Briand aus der Publikation Alfons Schilling Beyond Photography, 2017)
9 mal Liebe lautet der Arbeitstitel des Kurzspielfilms, den der 30-jährige Alfons Schilling als 35mm-Schwarzweißfilm geschrieben, produziert und auch inszeniert hat.
Der Film erinnert an den französischen Autorenfilm, insbesondere an Filme der Nouvelle Vague wie Jean-Luc Godards Alphaville von 1965 mit Anna Katerina in der Hauptrolle. Parallelen lassen sich nicht nur in der schwarz-weißen Filmästhetik, dem Casting der Darsteller*innen sowie dem Setdesign finden, auch inhaltlich gibt es Bezüge zum Verhältnis von Mensch und Maschine.
Im Anschluss an das Filmprogramm steht die Künstlerin und Professorin Anna Artaker, die von 2008 bis 2010 Assistentin von Alfons Schilling war, für ein Gespräch zur Verfügung. Moderation: Martina Tritthart
Weitere filmische Arbeiten sind auf einem Monitor zu sehen.
Cosmos Action Painting Desperate Motion | Alfons Schilling | Paris 1962 | R: Niklaus Schilling, F/CH 1962 | 11 min |8mm
Zeitraum | R: Alfons Schilling | USA 1977 | 11:10 min | 16mm
WoodyAlfons – rotierende Kamera | R: Woody Vašulka, Alfons Schilling | USA 1968 | 3:44 min | 8mm
Diese Filme verbindet die Auseinandersetzung mit der Bewegung, insbesondere mit der bewegten Kamera. Für Alfons Schilling ist die menschliche Raumwahrnehmung kein einäugiger, statischer Akt wie die Zentralperspektive, sondern ein zeitlicher Prozess in ständiger Bewegung. Cosmos Action Painting, Desperate Motion ist ein Werkdokumentarfilm, der 1962 von den Brüdern Niklaus und Alfons Schilling in dessen Pariser Atelier in der Rue de la Glacière gedreht wurde. Der Film geht jedoch über den Entstehungsprozess der rotierenden Bilder hinaus, indem auch die Kamera in Bewegung gerät und mit ihr der Raum.
Der Film Zeitraum, den Alfons Schilling zusammen mit dem Kameramann Andrej Zdravič realisierte, ist in gewisser Weise eine Fortsetzung von Cosmos Action Painting. Er wurde 1977 im Atelier am Broadway in New York gedreht. Wie ein Pendel schwingt die Kamera vertikal und parallel zur Bildebene, abwechselnd werden verschiedene perspektivische Raumansichten aneinander montiert, mal näher am Fenster und mal weiter hinten im Raum.
Woody/Alfons zeigt Aufnahmen einer horizontal rotierenden Kamera in diesem Film, der 1968 auf Super8 gedreht wurde. Mit hoher Geschwindigkeit rotiert die Kamera um die eigene Achse und wird kaum merklich langsamer, wenn Woody Vašulka oder Alfons Schilling ins Bild kommen.
Bio Alfons Schilling: 1934 in Basel geboren. 1956 Studium an der Universität für angewandte Kunst in Wien, Meisterklasse Eduard Bäumer. Verlässt 1959 die Angewandte, reist 1960 mit Günter Brus nach Mallorca, Abkehr von der akademischen, Hinwendung zur Aktionsmalerei. 1962 fünfmonatiger Paris-Aufenthalt, Intensivierung der Beschäftigung mit Rotationsbildern. 1962 Umzug nach New York. Lernt u.a. Kiki Kogelnik, Sam Francis und Billy Klüver kennen. 1965 entsteht der Film 9XL-Es war einmal in Zürich. 1966 Dreharbeiten zu 9 Evenings: Theatre and Engineering. Ab 1966 Beschäftigung mit den Möglichkeiten der Synthese von Raum, Blick und Bewegung. Intensive Auseinandersetzungen mit Holografie und Stereoskopie. Erarbeitung von Linsenrasterfotografien. 1967 Beginn der Freundschaft und der Kooperationen mit Steina und Woody Vašulka. In den 1970er- und 1980er Jahren Entwicklung autobinärer Raumbilder und tragbarer Sehmaschinen. Lehrtätigkeit an unterschiedlichen Kunstinstitutionen. 1977 mehrmonatige Afrikareise. 1985 John Simon Guggenheim Fellowship. 1986 Rückkehr nach Wien, bis 1990 Gastprofessur an der Universität für angewandte Kunst. 2012 Verleihung des österreichischen Ehrenkreuzes für Wissenschaft und Kunst. Alfons Schilling verstarb nach schwerer Krankheit 2013 in Wien.
Bio Anna Artaker: Geboren 1976 in Wien. Anna Artaker ist Künstlerin und war von 2015–2023 die erste Vertreterin der künstlerischen Forschung an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Ihre Werke wurden international gezeigt, etwa im New Museum in New York oder im Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofía in Madrid. Anna Artaker lehrte u.a. an der Zeppelin Universität in Friedrichshafen, der Merz Akademie in Stuttgart und der Universität Wien. Seit 2023 ist sie Professorin an der Kunstuniversität Linz.
Mit großem Dank an das Archiv Alfons Schilling, Ines Ratz und Julian Tapprich!