Man kann die Welt bestaunen, bewundern oder verehren, man kann ebenso vor der globalen Erwärmung warnen oder entmutigt den Verlust der Artenvielfalt beklagen. Man kann sie aber auch neu denken, anders entwerfen, dekonstruieren und dann so umgestalten, dass wieder Zuversicht zu finden ist. Parallel zur Ausstellung WUNDERKAMMER im Künstlerhaus hat das FREIE KINO ein Kinoprogramm zusammen gestellt, das künstlerische Erfahrungswelten, Konstruktionen und Utopien von Wirklichkeiten beinhaltet. Forschung und Kunst vereinen sich zu philosophischen Gedankenexperimenten, die sich auf unterschiedliche Weise in kinematographischer Ästhetik manifestieren und zu Entwürfen, die freie Anknüpfungspunkte anbieten.
PROGRAMM
FREIES KINO Trailer 2024/2 von Martin Bruch und Reinhilde Condin
Dropping Furniture von Paul Horn und Harald Hund | 2008 | 5 min. | 35mm
Dropping Furniture zeigt die Zerstörung eines Lebensraumes. Der Film ist konzipiert als symbolisches Bild für den Verlust einer Existenz.
"Was bleibt, wenn nichts mehr bleibt und das Leben buchstäblich auf den Kopf gestellt wird? Dropping Furniture fixiert zunächst zwei leere Zimmer. Leise, kaum wahrnehmbare Sounds erzeugen subtilen Suspense. Nach einigen Sekunden, wenn wir uns fast schon an die existenziell anmutende Leere der scheinbar verlassenen Behausung gewöhnt haben, fallen von oberhalb des Bildrands in Slow Motion zwei Einrichtungsgegenstände in das hintere Zimmer. Dann schwebt im vorderen, großen Zimmer ein Kronleuchter zu Boden, zersplittert und gibt das Startsignal für eine durch zwei fixe Einstellungen strukturierte Choreographie der Zerstörung. Wie von Geisterhand schweben ein Sofa, Leselampe oder ein Sessel mit Stofftieren darnieder. Das Mobiliar eines offenkundig altmodischen, spießigen Wohnzimmers wird entsorgt, um am Boden, orchestriert von einer mit dem verlangsamten Bild synchronisierten, mit viel Hall ausgestatteten Tonspur zu zerbersten. Als schließlich der gewichtige Wandverbau zerschellt ist, beginnt ein Telefon in Echtzeit zu läuten - ein letzter Hinweis auf Kommunikation. Auch die gegen Ende herab fallenden Zimmerpflanzen und das Aquarium geben keine Aufschlüsse auf Urheber und Motivation dieses Aufkündigungsrituals, das eine hintergründige Pointe birgt. Zwar entledigt man sich hier, ähnlich des Klischees von Fernseher aus dem Fenster werfenden Rockstar, in einem Akt der destruktiven Befreiung einer erstickenden Dingwelt. Andererseits beschweren genau die Trümmer den leeren Raum von neuem, füllen ihn mit dem sich ausbreitenden Müll der eigenen Geschichte. Am Ende, nach der Schwarzblende, glauben wir, weitere am Boden aufprallende Gegenstände zu hören. Sie klingen wie das Donnergrollen eines reinigenden Gewitters." (Thomas Edlinger)
LOOPS ∞ + 1 = ∞ von Iby-Jolande Varga | 2007 | 10 min.
5 kinetische Bilder zum Lebensgefühl der Jahrtausendwende. LOOPS ist inspiriert von Neologismen und von einer mathematischen Formel, die das Einzelne dem Unendlichen entgegensetzt. Im Film ist es die größte denkbare Schleife vom Entstehen bis zum Verschwinden unseres Universums, die dem alltäglichen Leben des Menschen in der Zivilisation gegenübersteht. Auf einer zweiten Ebene steht die Schleife zwischen der Welt und der Darstellung und Wahrnehmung der Welt in den modernen Medien: In ihnen spiegeln sich Universum, Erscheinungen der Zivilisation und die Menschen selbst. Erstellt mit Objekttrick – fünf eigens dafür gestaltete plastische Bilder, die durch bewegliche Teile animiert werden. Die Hintergrund-Bilder haben ebenfalls animierbare Elemente.
Gestalterisch ist LOOPS inspiriert von Andachtsbildern, die oft aufwendig, kostbar und detailreich gearbeitet sind und das Auge mit einer dichten allegorischen Welt beschäftigen, in welcher jedes Element der Idee untergeordnet ist, aber ästhetisch auch autonom für sich spricht. Die Musik von Stephen Ferguson nimmt in ihrer Dramaturgie den Faden des Filmes auf, in einem Quasi-Klavierkonzert mit der opulenten Begleitung einer über 100 Spuren umfassenden Klangkomposition.
Curtea de Arges von Ulrike Swoboda-Ostermann | 2007 | 5 min.
"Die Idee ist so einfach wie verblüffend: Ulrike Swoboda-Ostermann montiert Ansichtskarten aus der Verlassenschaft einer gewissen Frau Prade zu einem endlosen Alpenpanorama und erforscht ihre hochartifizielle Landschaft mit dem unbeteiligten Blick einer Wetterkamera. Was dabei herauskommt ist eine fast bedrohliche Welt aus Alpenidylle und Wirtschaftswunder. Im Rhythmus einer sanften, fast lieblichen Musik des Wiener Elektronikduos kilo, wird der mechanische Betrachter dann lebendig; unstet und orientierungslos bohrt er sich wahllos in die Berge hinein, nur um sich in einem weiteren beengenden Tal wiederzufinden. Letztlich bleibt dem auf Wanderschaft geschickten Zuseher nur mehr die Einsicht, dass er sich in dieser eingefrorenen, kräftig colorierten Romantik der 1950er Jahre längst verlaufen hat ..."
(Verena Hochleitner)
Untertagüberbau von Nikolaus Gansterer | 2017 | 17 min. | Kinoversion einer 3 Kanal-Videoinstallation zur Musik von Martin Siewert
In seiner jüngsten Arbeit inszeniert Nikolaus Gansterer eine 3 Kanal-Videoinstallation, die Elemente aus Animationsfilm, Zeichentrickfilm, Live-Zeichnung, Performance und Studioarbeit kombiniert. Der hypnotische Fluss der Bilder erzeugt eine dynamische zeitlich-räumliche Struktur aus poetischen Wirkungen, die die Grenzen zwischen Innen- und Außenwelt, zwischen Nacht und Tag auflöst und tiefere Schichten der Wahrnehmung freilegt. »Untertagüberbau« ist sowohl Modell als auch Ruine, Un-Ort und Utopie – ein treibendes Terrain voller Bezüge und Konnotationen.
„Eine Kreidelinie kreuzt den Bildschirm, macht eine Schleife und setzt ihren Weg fort. Beginnen Sie mit der Auswahl und Einrahmung eines Fragments, nehmen Sie eine Probe und messen Sie. Dann führen Sie die Studiomaterialien (Papier, Kreide, Wasser, Glas), die gefundenen Materialien ( Holz, grünes Blatt) und die eingeladenen Materialien (Schnecken) hin zu Sinnlichkeit, schematischer Rationalisierung oder der Beobachtung der verschiedenen Maßstäbe des Lebendigen durch Sammeln, Experimentieren und Analysieren werden die drei Videos von Nikolaus Gansterer von einer Klangkomposition von Martin Siewert entstand in seinem Studio, während er unter anderem wissenschaftliche Radiosendungen hörte. Untertagüberbau ist eine Videoaufzeichnung von Gesten rund um einen Labortisch. Diese Produktion leitete die Praxis des „Trans-Lesens“ ein. Kommentieren von Sitzungen, die in Situationen des direkten Zuhörens stattfinden, erfolgt durch glückliche Zufälle, nachträgliche Gedanken, das Springen von der Säule zur Säule, das Kommen und Gehen, das Zusammenbrechen und das Auftauchen. Es ist unmöglich, sich sehr lange zu konzentrieren. Die Zerbrechlichkeit eines Staates ist wie ein Windstoß auf einem Fragment.“ (Sophie Orlando)
re-BIRDING von Michaela Schwentner | 2023 | 26 min. | Englisch mit deutschen Untertitel
Von Menschen dargestellte Vögel berichten von ihrem Aussterben und vom Verschwinden der biologischen Vielfalt. Was zunächst an einen Trauergesang auf die unzähligen Vogelstimmen erinnert, die wir aufgrund der Ausbeutung der Natur nicht mehr hören können, verwandelt sich in Michaela Schwentners re-BIRDING in eine Federkleid tragende Utopie des friedvollen Zusammenlebens. Assoziationen an die Naturforschungen der US-Philosophin Donna Haraway werden wach, wenn von Repräsentantinnen dargestellte Vögel von ihrem Aussterben berichten, aber auch von den Menschen, die durch das Verschwinden der biologischen Vielfalt letztlich sich selbst schaden. Schließlich verweben sich die unterschiedlichen Stimmen zu einem Chor, um nach Lösungen zu suchen, das Vogelsterben einzudämmen. Dabei verweist die Inszenierung auf Mechanismen der Ausbeutung durch Kolonialismus wie durch den gewaltvollen Eingriff in die Natur. (Patrick Holzapfel)
"Die musikalische Ebene des Films ist ebenso wichtig wie die visuelle Ebene – die verlorenen Geräusche der Vögel, wesentliche Werkzeuge der Kommunikation und territorialen Manifestation, werden durch den Einsatz künstlicher, instrumentaler Klänge (re)konstruiert oder neu erfunden. Wie hätte ein ausgestorbener Vogel geklungen? (Wie) lässt sich ein Lied in einen zeitgenössischen, künstlichen Klang übersetzen? Aus gesammelten Naturgeräuschen (Feldaufnahmen) und der Entwicklung künstlichen Klangmaterials (Kompositionen) werden unterschiedliche Übersetzungen von Vogelstimmen entwickelt. Bei der Komposition von Stücken für Stimmen und Instrumente beziehe ich mich auf Traditionen, Aufzeichnungen und Interviews sowie auf poetisch-technische Übersetzungen archivierter Vogelaufnahmen und greife dabei musikalische Quellen auf, sowohl historische als auch zeitgenössische." (Michaela Schwentner)
Im Rahmen von:
WUNDERKAMMER -