Im immer umfangreicher werdenden Spektrum von Haben und Brauchen in Wien bezieht der Kunstverein St. Pauli den Nachbau der Passagegalerie. Nachdem wir in der letzten Ausstellung Reinhold Zissers Notgalerie vorstellten, freuen wir uns, eine weitere sich an den Peripherien des bekannten Ausstellungsbetriebs ansiedelnde Künstler*innen-Initiative zu Gast zu haben: Den Kunstverein St. Pauli aus Hamburg.
In Deutschland gibt es über 300 Kunstvereine mit über 120.000 Mitgliedern. In der Regel bilden diese sich seit Beginn des 19. Jahrhunderts in einer Allianz eines lokalen, aufstrebenden Bürgertums, oft bereits gemeinsam mit lokalen Künstler*innen, unter dem Vorhaben, Kunstausstellungen zu zeigen. St. Pauli ist der Rotlichtkiez von Hamburg. Sein Kulturbetrieb ist eher traditionell subkulturell und das Bürgertum hier eher heimlich zu Gast. Es wirkte dabei selbst 2006 noch als Irritation, als sich eine Gruppe von Freund*innen aus den Bereichen Kunst, Design, Gartenlandschaftsbau, Soziologie und Architektur unter dem Titel Kunstverein St. Pauli organisierten, die WG-Küche zum Ausstellungsraum erklärten und konsequenterweise dem bundesdeutschen Dachverband ADKV beitraten.
Seitdem erfindet sich das Kollektiv weiter seine eigenen Strukturen und organisiert experimentelle Ausstellungsformen an scheinbar unmöglichen Orten: So wurde zum Beispiel ein Überseecontainer angeschafft, der zunächst auf dem Fischmarkt St. Pauli stationiert war und anschließend auf Tour ging, um an verschiedenen Orten in Deutschland und Europa als Ausstellungs- und Arbeitsraum genutzt zu werden. Des Weiteren organisieren sie sogenannte „Parkplatztreffen", bei denen jeweils mehrere Künstler*innen eingeladen sind, ihre Werke in Autos zu realisieren, die an wechselnden Standorten geparkt sind. In diesen Deplatzierungen kommt es nicht selten dazu, dass die gezeigten Objekte, durch die befremdliche Umgebung, verdichtet werden. Wie die Reste der Bruchlandung eines Raumschiffes liegen dann glänzende Splitter im Fußraum, oder ein wirres Gespinst schwebender Spaghetti schwebt über die Sitze; die Frage stellend, in wie weit der sie umgebende Raum sie als Kunst konstituiert. Nebenbei wurde natürlich auch viel tätowiert.
Für ihr Gastspiel in Wien werden vier der am Kunstverein St. Pauli beteiligten Künstler*innen anreisen und die Passagegalerie als Gesamtinstallation im Sinne ihrer Praxis umgestalten.
Der Hamburger Kunstverein St. Pauli wird von Christoph Bernecker, Felix Franz, Kai Kaste, Axel Loytved, Franziska Nast, Sebastian Rohrbeck, Tobias Scholz und Malte Struck betrieben.